Die ökumenischen Visionen bleiben leider zu oft in strukturellen und theologischen Dimensionen hängen. Dies hilft praktisch niemandem und ist überhaupt nicht wegweisend. Vereint sind aber die christlichen Kirchen in ihrem Glauben an den dreieinigen Gott und in der Nachfolge Christi. Aus der Begegnung mit Nicht-Katholiken im Umfeld der europaweiten ökumenischen Bewegung „Miteinander für Europa“ und aus einer mehrjährigen Nachbarschaft zu einem evangelischen Ehepaar, mit dem wir uns sehr oft über den Glauben ausgetauscht haben, weiß ich sicher, dass eine Ökumene da stattfindet, wo wir uns Christen aus den verschiedenen christlichen Konfessionen begegnen und gemeinsam, aber mit unterschiedlichen Akzenten, eine Beziehung zum Gott des Lebens pflegen. Das ist für mich konkret gelebte Ökumene. Es ist gut, dass wir so etwas heute nach vielen Jahrhunderten gegenseitiger Ablehnung und Spannungen erleben dürfen.
Ich teile die Meinung der evangelischen Bischöfin Margot Käßmann, die sich in diesem Lutherjahr 2017 dafür ausgesprochen hat, die Ökumene in Verschiedenheit zu leben. Sie sagte: „Ich glaube, dass wir uns im Kern, also im Glauben an Jesus Christus und die Bibel, auf die wir uns beziehen, nahe sind. Für mich bedeutet Ökumene nicht, alles gleich und einheitlich zu machen, sondern in der Verschiedenheit das Gemeinsame zu sehen.“ Ich halte eine Einheitskirche vor dem Hintergrund der über Jahrhunderte entwickelten und verinnerlichten Glaubenspraxis für nicht realistisch und auch nicht für erstrebenswert. Ich selbst finde die katholische Glaubensart als sehr bereichernd und tiefgehend und kann mir nicht vorstellen in meiner Beziehung zu Gott und auch anderen Personen in unserer Glaubenstradition, wie z.B. Gottesmutter, auf eine dieser Dimensionen zu Gunsten einer Einheitskirche zu verzichten.
Was die Kirchen in Deutschland aber schon längst realisieren können, das sind Kooperationen und Bündnisse bei caritativen und gesellschaftlichen Aufgaben. Da ist Ökumene sofort umsetzbar und da ist Vieles möglich, um noch mehr Aufgaben national und international gemeinsam übernehmen zu können und als wegweisendes „Sprachrohr“ in Bezug auf die immensen Herausforderungen der Zukunft aufzutreten. Ich wünsche mir da viel mehr Zusammenarbeit als bisher. Es wäre gut, wenn hier ökumenische Fortschritte realisiert werden.
Ich wünsche mir auch, dass mehr Energie und verfügbare Kapazitäten auf beiden Seiten für die Seelsorge und das Apostolat eingesetzt werden als für unrealistische Visionen. Unsere Gesellschaft ist auf dem Weg der völligen Säkularisation. Die Menschen - vor allem die jüngeren Generationen - sehnen sich nach verlässlichen, menschengerechten Lebensmodellen und suchen Antworten auf grundlegende Lebensfragen. Diese Menschen verstehen die Spannungen in der Ökumene auch gar nicht. Unsere christliche Botschaft ist angefragt wie noch nie zuvor. Die Volkskirchen sind tot, es braucht deshalb eines erhöhten Engagements, profilierten Auftretens, kritischer Auseinandersetzung mit dem Mainstream und eigener Überzeugung im Christsein, in der Kindschaft Gottes. Die Entwicklung findet im rasanten Tempo und im noch nie dagewesenen Umfang statt. Die Ökumene heißt hierbei – gemeinsam für die Menschlichkeit und das Wohl der Menschen kämpfen und gemeinsam an Gott, der die Liebe ist, erinnern und von vom Leben mit Gott erzählen.
Von Bruno Kulinsky