Der evangelische Theologe Stephan Schaede, Leiter der evangelischen Akademie Loccum in Niedersachsen, eines der wichtigsten intellektuellen Zentren im deutschen Protestantismus, ermuntert in einem Interview zum Glauben an persönlichen Gott.
Mit dem Glaubensschwund in unserer Gesellschaft an einen persönlichen Gott schwindet nicht die Religiosität. Die Religiosität zeige sich bei vielen Menschen heute etwa auch dadurch, dass sie an eine höhere unpersönliche Kraft oder Energie glauben. Die Menschen denken, es sei eine naive anthropomorphe Projektion, sich analog zur Personalität der Menschen auch Gott als Person vorzustellen. Der Theologe Schaede hält dagegen: „Es ist mindestens ebenso naiv, eine naturalistisch naive Projektion, sich aus angeblich aufgeklärten oder populären Gründen Gott in Analogie zu einer physikalischen Kraft oder Energien vorzustellen.“ Schaede hält es für irreführend, wenn in der Kirche und Theologie Gott zu einer bloßen Kraft gemacht wird und der Glaube an den persönlichen Gott der Juden und Christen aufgegeben wird.
Auf den Unterschied angesprochen antwortet Schaede: „Personen sind im Vergleich zu bloßen Kräften oder Energien viel komplexer. Personen entwickeln sich lebensbiografisch, sie haben im Unterschied zu bloßen Kräften die Fähigkeit, etwas zu erleben. Sie haben Mitgefühl. Sie können vergeben und versprechen. Sie stehen in einem dialogischen Verhältnis zu anderen und zu sich selbst: Eine Person kann sich auch auf sich selbst ansprechen, sich korrigieren. Schon deshalb wäre es ein großer Verlust an Komplexität im Gottesbild, wenn wir uns Gott als Kraft statt als Person denken würden. Wenn sie von der liebenden oder segnenden Kraft sprechen, benutzen sie Adjektive, die nur im Zusammenhang mit Personen funktionieren. Einzig und allein eine Person kann segnen oder lieben. Liebe ist, wie der Philosoph Leibnitz einmal schön gesagt hat, die Fähigkeit, sich an der Freude der anderen zu freuen. Dazu ist ein Kraftfeld beim besten Willen nicht in der Lage.“
Schaede bedauert, dass viele Theologen und Kirchenleute heute vermeiden, eine Beziehung zu einem personalen Gott zu verkünden. Der Theologe sieht selbst keine Alternative zum Personenkonzept Gottes. Er meint, dass wir Menschen gar nicht anders können, als in der Religion in Bildern zu denken und zu sprechen. Das Bild "Person" erschließt an Gott Züge, die wir sonst nicht erkennen würden. Zum Beispiel, dass man Gott im Gebet ansprechen könne. Ansprechen werden könne aber nur eine Person, ein Gegenüber, die komplexe Gestalt hat. Zudem habe eine Person ganz anders als eine Kraft ein Verhältnis zur eigenen Vergangenheit und Zukunft. Eine Kraft erinnert sich an nichts. Und sie hat auch nichts vor. Dass Gott uns Heilszusagen macht und Zukunftsentwürfe unterbreitet, ist nur beim Glauben an einen persönlichen Gott vorstellbar. Alle entscheidenden Ansagen des Neuen Testaments darüber, was Gott mit uns vorhat – vergeben, versöhnen, richten, neues Leben gestalten – sind Dynamiken, die nur personal vorstellbar sind.
Nach Schaede verspricht Gott dadurch meine Person zu steigern. Er macht die Zusage eines neuen, eines erweiternden Entwurfs, wobei das Besondere ist, dass eine Christin und ein Christ einsehen kann, dass er oder sie diese erweiterte Person bereits ist. Er und sie ist die mehr oder weniger dürftige endliche Person hier und jetzt und zugleich die Person im Entwurf der Erlösung. Genau dies zeige sich an Jesus Christus. Einerseits lehre er uns, wie sehr Gott Person ist, Gott wird Mensch, andererseits hält Jesus der menschlichen Personalität den Spiegel vor: Wir erkennen an ihm, dass wir scheitern und sterben – und zugleich Hoffnung haben, dass Gott uns bereits eine neue erweiterte Personalität verliehen hat.
Gefunden und zusammengefasst von Bruno Kulinsky
Inhalte aus einem Interview in der WELT vom Oktober 2012