Wie lerne ich glauben? Indem ich vom Glauben höre, indem ich mich in den Glauben einübe, indem ich meinen Glauben in Freiheit praktiziere. Der Glaube beginnt mit Erzählen und Hören.
„Höre, Israel“ ruft Mose dem Volk Israel zu. Und dann erzählt er ihm alle Geschichten, die Gott mit seinem Volk verbinden: wie treu Gott zu Abraham gehalten hat, wie Gott Israel aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat, welche Gebote Gott gegeben hat, damit unser Leben gelingen kann. „Höre, Israel!“ Und wie eine Zusammenfassung sagt Mose dann: „Euer Gott, von dem euch die biblischen Geschichten erzählen, ist Gott, einzig und allein euer Gott!“
So hat wahrscheinlich schon Jesus glauben gelernt. Joseph und Maria haben ihren Glauben gelebt. Morgens und abends haben sie gebetet, bei Tisch gedankt, bei wichtigen Ereignissen nach Gottes Willen gefragt und auf Gott gehört. Maria wird unerwartet schwanger: Was soll ich tun, Gott? Weise mir deinen Weg, Gott! Und Joseph weiß nicht, ob er der Vater ist: Soll ich Maria nicht lieber verlassen? Weise mir deinen Weg, Gott! Sie hören auf Gott und Gott spricht zu ihnen, sagt beiden die gleiche gute Nachricht: Fürchte dich nicht, Maria! Fürchte dich nicht, Joseph! Ihr habt Gnade bei Gott gefunden, ihr werdet ein Kind bekommen, das der Welt Frieden bringt.
Die Eltern haben Jesus die Gottesgeschichten erzählt und die Gebete gelehrt. Vielleicht hat Joseph Jesus dieses „Höre“ schon gleich nach der Geburt dankbar ins Ohr geflüstert. Vielleicht hat Maria es gesprochen, nachdem Jesus zum ersten Mal in der Krippe eingeschlafen ist. Und dann hat Jesus es immer wieder gehört, morgens und abends, auf der Flucht nach Ägypten, zu Hause in Nazareth. Hören und erzählen, so wächst der Glaube. Das wichtigste wird verinnerlicht! Das wichtigsten Gehörte oder Gelesene setzt sich in uns fest, in unserem Herz, in unserem innersten Kern.
Als Jesus Nazareth später verlässt, nimmt er all das Gehörte mit; leichtes Gepäck, weil er es verinnerlicht hat. Und doch sind die Geschichten und Gebete, die Gebote grundlegend für das Leben. Sie weisen den Weg, sie geben Halt. Hören und Erzählen führen zum Glauben. Jesus erzählt das Gehörte weiter, lebt es, fragt, was bedeutet dieser Glaube heute für mich, wendet es für sein Leben, in seinen Gesprächen und Konflikten an: Als er nach dem höchsten Gebot gefragt wird, antwortet er: „Das höchste Gebot ist das: Höre, Israel: der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften. Das andere ist dies: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Es ist kein anderes Gebot größer als diese.“ (Mk 12) Jesus lädt uns ein, weil diese wichtigen Worte auch uns gelten. Dass auch wir sie hören und dann weiter erzählen, damit sie Menschen ins Leben helfen.
Wie lerne ich glauben? Indem ich vom Glauben höre, aber auch indem ich mich in den Glauben einübe. Üben liegt uns manchmal aber eher fern! Glaube gilt uns als etwas Inneres. Jede und jeder muss seinen und ihren Weg mit Gott finden. Privatsache ist das, unmittelbar zwischen Gott und mir, da soll nichts Äußerliches dazwischen treten. Aber vielleicht ist das mit dem Glauben doch eher wie mit einem Handwerk. Übung macht den Meister. Da gibt es Grundlagen, die ich kennen muss, geprägte Inhalte und Formen, die sich bewährt haben, und die ich mir nun aneignen muss, indem ich sie ausprobiere, spüre, was gelingt und was nicht zu mir passt: Wie kann ich beten? Wie spreche ich von meinem Glauben, wenn meine Kinder mich fragen? Was sage ich am Krankenbett, wenn ich gefragt werde: Wie geht es nach dem Tod weiter?
Nur wenn ich meinen Glauben übe, Erfahrungen mit ihm sammle, entwickelt er sich weiter und vertieft sich. Dann zeigt sich, ob sich die Gebete, Lieder und Verhaltensweisen, die ich einmal gelernt habe, bewähren. Ob sie der Herausforderung standhalten, ob sie wirklich trösten. Nur wenn ich meinen Glauben übe, werde ich ihn auch nutzen können, wenn ich ihn brauche. Durch äußeren Vollzug prägt sich der Glaube im Inneren ein.
Und natürlich und vor allem von Generation zu Generation: Denn wenn ich meinen Glauben an meine Kinder weitergebe, bin ich gezwungen, ihn auszusprechen. Ich lege mich fest: Diese Geschichte ist für mich grundlegend, dieses Gebet tröstet mich! So stelle ich mir den Tod und das Leben danach vor! Traue ich mich das zu sagen? Denn dann können die Kinder noch einmal fragen; dann kann meine Frau sagen, so habe ich das bisher gar nicht verstanden. Dann fangen wir an zu diskutieren, vielleicht auch zu streiten und entdecken - hoffentlich: Der Glaube gehört ins Leben! Oft helfen die Kinder, die fragen, heute den Eltern wieder neu zum Glauben. Oft lernen die Großen glauben, wenn sie sich mühen, ihren Glauben den Kleinen zu erklären.
Der Glaube wächst von außen nach innen, weil er uns von außen, von Gott zukommt. Das ist manchmal schwer zu glauben. Deshalb müht sich die Kirche deutlich zu machen, warum die Geschichten, Lieder, Gebete schon heute wichtig und hilfreich sind. Aber manches kommt erst später im Inneren an, bewährt seine Kraft erst in einer besonderen Situation!
Wie lerne ich glauben? Indem ich vom Glauben höre, indem ich mich in den Glauben einübe. Und indem ich meinen Glauben in Freiheit praktiziere. Glauben und Leben, Tun und Hören gehören zusammen! Das Gehörte will gelebt werden.
Wir haben das Negativbeispiel im heutigen Evangelium, der Geschichte vom reichen Mann und vom armen Lazarus gehört. Der reiche Mann liebt Gott, aber seine Liebe wird nicht Tat. Er kommt mit seinem Glauben nicht in Bewegung. Er schafft es nicht barmherzig zu sein gegenüber den Bedürftigen. Gott zu lieben heißt, in Gottes Machtbereich zu leben und den vielen anderen Göttern zu widerstehen: dem Gott der Sicherheit, der lieber Scheunen zur Kapitalanlage baut, als heute die Hungrigen satt zu machen. Dem Gott der Schönheit, der uns auf Ideale festlegt, die wir nicht erfüllen können. Dem Gott der Anerkennung, der Unzufriedenheit und Neid in unsere Herzen sät, weil andere mehr haben, besser sind, mehr gelten.
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft. Das ist ein Teil des höchsten Gebots, aber es ist vor allem auch eine Befreiung: Gott geht mit mir, auch wenn es schwierig wird, auch in Krankheit und Sterben. Gott liebt mich mit meiner Schuld, mit meiner Schwäche. Gott trägt mich, so wie Gott Israel getragen hat; Gott geht mit mir wie mit Jesus.
Glauben lerne ich, wenn ich in die Bewegung der Liebe Gottes komme. Diese Liebe ist der eine Kern, von dem aus sich der Glaube in vielfältiger Weise entfaltet und wächst. Ein Glaube eröffnet unterschiedliche Wege, erlaubt jeder und jedem von uns seine und ihre besondere Frömmigkeit: Glaube kann trösten und ermahnen, kann befreien und zur Umkehr rufen, kann stärken und selbstkritisch machen.
Es ist gut, wenn ich die alten Worte kenne und im Herzen habe, wenn sie einen Grund legen, auf dem ich stehen kann. Wenn es ernst wird, sind meine Worte und meine Tat gefragt, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller meiner Kraft. Dann bewährt sich mein Glauben im Bekennen für heute.
Glauben lerne ich, indem ich mich Gott anvertraue, mit meinem Denken und Fühlen, mit meinem Reden und Tun. So zeigt sich, woraus und woraufhin ich lebe.
Gefunden von Bruno Kulinsky auf der Webseite ekiba.de
Auszüge aus einer Predigt von Prof. Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh, Landesbischof der Evangelischen Landeskirche Baden