Vor ziemlich genau 3 Jahren kam es zu einem besonderen Ereignis. Alle erlebten es auf unterschiedliche Art und Weise, verbunden mit individuellen Emotionen.
Seine persönliche erste Reaktion war von Dankbarkeit geprägt. Das klingt alles andere als nachvollziehbar und passend, es befremdet vielleicht auch eher. Aber für ihn war damals klar, es wird ab sofort alles anders. Und er war sicher, so kurz vor Weihnachten: Das Christkind will seinem Sohn einen Neuanfang schenken, er will in ihm neu geboren werden. Dieser Gedanke machte ihn froh. Was da auf seinen Sohn zukommt, war ihm zu diesem Zeitpunkt nicht klar. Es sollte kein Zuckerschlecken für seinen Sohn werden.
Da gibt es ein Sprichwort: Gott schreibt auch auf krummen Linien gerade. Die Wahrheit dieses Sprichwortes begegnet uns bis heute in den Lebensgeschichten unterschiedlichster Menschen. In dem Sprichwort heißt es ja nicht: Gott biegt alles gerade, sei es noch so krumm. Im Gegenteil: Gott kümmert es nicht, welchen Verlauf eine Lebenslinie nimmt, ob sie geradewegs auf ein bestimmtes Ziel zuläuft oder aber geschlängelt ist, Umwege und gar Sackgassen hat. Wichtig ist nur eins: Er geht sie alle mit. Er ist auch den Weg mit seinem Sohn gegangen.
Vieles gehört dazu, um uns zu der Persönlichkeit zu machen, zu der Gott uns bestimmt hat: Unsere Familie, unsere Begabungen, positive Erfahrungen. Ja aber auch die schwierigen Zeiten des Lebens prägen uns. Die meisten Menschen haben solche Zeiten schon erlebt. Und diese waren oft auch richtig bitter, sie haben uns geprägt.
Doch ist es nicht so, dass wir zwar grundsätzlich diesem Sprichwort zustimmen, dass Gott auch auf krummen Linien gerade schreiben kann, aber dass es doch lieber ein schöner Spruch bleiben soll und nicht Wirklichkeit? Wir möchten eher, dass es in der Familie ehrbar zugeht, dass jeder sein Bestes gibt und keine Sünden verübt, das alles glatt läuft ohne krummes Zeug. Das Kind, der Ehepartner oder die Familie sollen auf dem vermeintlich geraden Weg bleiben.
Wenn wir im Evangelium lesen, stellen wir fest, dass bei Gott offensichtlich oft andere Maßstäbe gelten. Was in Menschen Augen oft als töricht und unsinnig gilt, ist bei Gott nicht selten klug und weise und angesehen. Gott schreibt auf krummen Linien gerade. Seien wir also vorsichtig, dass wir zu urteilen beginnen, wer in unseren Augen und nach unseren Maßstäben eine krumme Linie ist. Es könnte dann passieren, dass wir unser eigenes „Krumm-Sein“ nicht mehr erkennen und aufgrund des Fehlurteils Gottes Liebe abweisen. Für Gott sind die eigenen Fehler und Irrtümer nicht vergeblich und genauso sinn-erfüllt wie unsere vermeintlichen guten Taten.
Es gibt da eine kleine Geschichte. Ein Schäflein hat auf der Weide ein Loch im Zaun ent-deckt und zwängte sich durch. Es freute sich über die Freiheit und lief weg. Weit, weit weg lief es, bis es sich verlaufen hatte. Bald merkte das Schaf, dass es von einem Wolf verfolgt wurde. Es lief und lief, aber der Wolf blieb hinter ihm. Bis der Hirte kam und das Schaf rettete. Er trug es behutsam zurück zur Herde. Und obwohl jeder den Hirten drängte, weigerte er sich, das Loch im Zaun zuzunageln. Die Geschichte will davon erzählen, dass Liebe nur auf dem Boden der Freiheit gedeiht. Gott geht lieber das Risiko ein uns zu verlieren als uns zu zwingen! So ging es ihm oft auch als Vater.
Und was ist der Wolf? Das kann im übertragenen Sinne der Hass und die Unzufriedenheit sein, die Gier nach mehr, die Sucht, ungute Träume und Trugbilder oder falsche Freunde, die den Wölfen im Schafspelz gleichen. Wir alle kennen solche Wölfe und wir alle haben mindestens einen solchen Wolf in uns. Es kommt nur darauf an, ob wir ihn füttern.
Lassen wir uns von dem guten Hirten finden, wenn wir uns doch mal verlaufen. Ich weiß aus meiner eigenen Lebenserfahrung, dass es so ist. Er war sich sicher, dass sein Sohn auf dem zurückgelegten Weg den Hirten begegnet ist. Was bedeuten seinem Sohn die vergangenen Jahre auf seinem Weg in die Sackgasse und Unfreiheit. Das weißt er ja am besten. Auch dafür hat sein Vater ein Bild gefunden, ein Bild von der Muschel.
Tief unten auf dem Meeresboden öffnet sich die Muschel weit, um das Wasser durch-fließen zu lassen. Ihre Kiemen nehmen so Nahrungsstoffe auf. Manchmal gerät aber auch Sand in die Muschel hinein. Die Muschel kann Sand überhaupt nicht ausstehen. Er ist so rauh und macht das Leben beschwerlich und unbequem. Es ist immer so lästig, wenn etwas Sand in die Muschel gerät. Schnell schließt die Muschel ihre Schalen, doch es ist meist schon zu spät. Ein hartes, grobes Sandkorn ist bereits eingedrungen und bleibt drinnen, zwischen ihrem Fleisch und der Schale stecken. Doch die Muschel ist mit beson-deren Drüsen ausgerüstet, mit Hilfe derer die Innenseite der Muschelschalen beschichtet worden sind. Diese Drüsen beginnen sofort, das störende Sandkorn auch mit einer hüb-schen, glatten, schimmernden Schicht zu überziehen. Jahr für Jahr fügt die Muschel wei-tere Schichten von Perlmutt hinzu und umhüllt das kleine Sandkorn, bis daraus schließlich eine herrlich schimmernde, kostbare Perle geschaffen ist.
Manchmal sind unsere Probleme und Schwierigkeiten wie eines dieser Sandkörner. Sie können wirklich stören und so viel Ärger, Schmerz und unendliche Unannehmlichkeiten verursachen, und wir fragen uns, warum wir das ertragen müssen. Doch Gott beginnt aus unserem Schmutz, in unseren Schwierigkeiten und Schwächen ein Wunder zu wirken – wenn wir es zulassen. Dann nimmt Gott diese rauhen Sandkörner in unserem Leben auf und verwandelt sie nach und nach in kostbarste Perlen von Kraft und Stärke, Weisheit und Bescheidenheit. Übertragen könnten die Drüsen Menschen um uns herum sein, die uns Liebe und Zuwendung schenken. Er durfte als Vater erleben, wie aus manchem Sandkorn bei seinem Sohn eine Perle geworden ist und wie viele Menschen ihm zu Drüsen geworden sind. Er freute sich sehr darüber.
Und noch eine weitere Geschichte erinnert den Vater an seines Sohnes Träumereien, Spiele und manchmal auch lausbubenhafte Einfälle. Der Bär und sein Freund Tiger beschlossen, das Traumland Panama zu finden, weil es dort Bananen gab. Sie haben Lust auf Bananen bekommen, weil sie eine Kiste fanden, aus der es intensiv nach Bananen roch. Sie waren sicher, dass sie nur in Panama so richtig glücklich werden können. Unterwegs zu Ihrem Traumziel erlebten sie Allerlei. Es waren schöne Begegnungen und Abenteuer dabei, aber auch Strecken mit Verzicht, Enttäuschung und Entbehrungen. Und eines Tages erreichen sie aber Ihr Traumziel, welches sie nie wieder verlassen wollen. Sie erkennen es nicht, aber es war ihr eigenes Haus, in dem sie sich aber jetzt so richtig wohl fühlen, Geborgenheit und Liebe erleben. Sie mussten diesen Weg gehen, um ihr Haus als ihr Traumland, ihr Paradies zu entdecken.
Die Freude über das gefundene Traumland war riesig. Wer diese Geschichte von Janosch in seinem Buch liest, merkt anhand der Zeichnungen, dass es das Haus ist, in dem die beiden früher gewohnt haben. Für die beiden ist aber dieser Traumort nicht mehr das alte Haus. Sie betreten nicht mehr das alte Haus, sondern bedingt durch die Erlebnisse und Erfahrungen, die gestillte Sehnsucht und den Glauben an den gefundenen Traumort nehmen sie es als ein neu entdecktes Haus wahr.
So ist es bei uns Menschen - manchmal müssen wir aufbrechen und unseren eigenen Weg gehen, auch wenn er alles andere als bequem, gerade, gut oder was auch immer ist. Wir müssen ihn vielleicht auch als Umweg gehen, um dort zu gelangen, wo man geliebt und angenommen wird, wie man ist. So wird das alte Haus manchmal erst nach so einem Umweg zum Traumort.
Autor: Bruno Kulinsky