Der Hirnwissenschaftler Prof. Gerald Hüther stellt in einem seiner Vorträge die Wirkung des Unterbewusstseins auf unser Denken, Fühlen und daraus resultierend auf unser Handeln dar. Dabei weist er auf eine Studie mit Kleinstkindern hin, die ich für äußerst spannend und erkenntnisreich halte. Folgende Szene wurde mehreren Kleinstkindern mit 6 Monaten vorgespielt. Auf einer Wand wurde ein Berg aufgemalt, den ein Männchen mit viel Mühe bestieg. Danach wurde eine zweite Szene mit dem gleichen hinauf steigenden Männchen dargestellt. Allerdings gesellte sich ein zweites, blaues Männchen hinzu, das dem ersten Männchen am Besteigen des Berges durch Nachschieben geholfen hat. Danach folgte eine dritte Szene. Diesmal kam ein grünes Männchen hinzu, welches aber das den Berg besteigende Männchen vom Berg wieder herunter drängte. Nach diesen Spielszenen wurden den Kleinstkindern die beiden Männchen, das blaue und das grüne, auf den Tisch zum Auswählen gegeben. Alle 6-monatigen Kleinstkinder haben sich für das blaue Männchen entschieden, das dem anderen Männchen geholfen hat. Das gleiche Experiment hat man mit diesen Kleinstkindern 6 Monate später durchgeführt. Hier war das Ergebnis schon anders, fast 20 % von ihnen wählten anschließend das grüne Männchen aus. Dies interpretiert Hüther damit, dass diese Kleinstkinder in ihrem Umfeld, sehr wahrscheinlich in ihrem familiären Umfeld, etwas wahrgenommen und wohl verinnerlicht haben, das den Eindruck einer positiven Bewertung der Durchsetzung gegen Andere erweckte.
Prof. Hüther behauptet, Babys kommen wie mit einem leeren Akku auf die Welt und nehmen in den ersten Lebensjahren als Kleinkinder sehr viel auf, sie lernen sehr viel und begeistern sich für alles Mögliche. Und dies scheint uns deshalb interessant, weil dies darauf hinweist, wie Kinder von ihrem Umfeld, insbesondere vom familiären Umfeld, geprägt werden und dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch unbewusst wahrnehmen, ob und wie wir zu Hause mit Gott leben, wie wir über Gott sprechen und wie wir unser Leben aus dem Glauben heraus gestalten. Ich habe mir gedacht, was wäre, wenn man dem Kind bei der Szene mit dem blauen Männchen erzählt hätte, das blaue Männchen sei wie Gott, der immer hinter uns steht und uns hält, falls wir mal wieder abrutschen. Ausgehend von den Ausführungen Hüthers, kann man annehmen, dass das Kleinkind dadurch tief in seinem Inneren, in seinem Unterbewusstsein – man könnte auch unwissenschaftlich sagen, in seinem Herzen - eine positive Erfahrung mit Gott „gespeichert“ hätte. Solche bewussten und unbewussten Prägungen helfen dann auch dem erwachsenen Menschen sich an solche Bilder, Erfahrungen und Gefühle zu erinnern.
Das hat mich an die Glaubenszeugnisse meiner Großmutter in unserer Kindheit erinnert. Sie erzählte uns Kindern wieder und immer wieder, wie sie mit Hilfe Gottes und der Gottesmutter ihr Leben in der Kriegs- und Nachkriegszeit gemeistert hat. Als Erwachsene und junge Familie konnten wir uns an diese Glaubenszeugnisse und an das Leben mit Gott und der Gottesmutter erinnern. Es half uns den Glauben neu zu entdecken und dank der Schönstatt-Bewegung zu erneuern und zu vertiefen.
Pater Kenntenich, Gründer der Schönstatt-Bewegung, hat öfters in seinen Vorträgen auf die Rolle des Unbewussten hingewiesen. Er sagte: „Verwurzelt ist der Glaube nur, wenn er bis ins Unterbewusstsein hineinragt und die unterbewusste Seelenregion auch durchdringt.“ Dies sei eine Voraussetzung, meinte er, damit das Religiöse nicht oberflächlich bleibt.
Und was kann das sein, was unsere Kinder in ihrem Unbewussten prägt? Wir denken, das ganz normale Leben: Mit dem Alltag und seinen Mühen, mit der besonderen Gestaltung der Sonn- und Feiertage und der Freude an der familiären Gemeinschaft. Und darin verwoben unsere Beziehung zu Gott - so wie uns Pater Kentenich ermuntert, alles auf Gott hin durchsichtig zu machen. Und weil uns das nicht immer so gut gelingt, lassen wir uns an die Hände der Gottesmutter nehmen, die uns zu dieser Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Beziehung zu unserem himmlischen Vater führt. Wir denken, es bedarf keines übertriebenen, frommen Lebensstils. Wichtig erscheint uns, dass wir unser Leben mit Gott authentisch, nach unserer eigenen familiären und originellen Art und mit Freude gestalten. Dazu gehören z.B. Gebete vor dem Essen und Schlafen-Gehen, Sonntagsgottesdienste, Hören von Gott, religiöse Rituale, Erinnerungszeichen an Gott und die Gottesmutter in unserem Daheim, Besichtigungen von religiösen Orten in den Ferien u.s.w. Auf diese Weise verinnerlichen unsere Kinder unbewusst und emotional positiv die Beziehung zu Gott. Solche Erfahrungen werden im Unbewussten „gespeichert“ und beeinflussen letztlich nachhaltig unser menschliches Denken, Fühlen und Handeln.
In dem bekannten Gleichnis vom verlorenen Sohnes gibt es einen Moment, in dem sich der notleidende Sohn an das Leben mit dem Vater erinnert und beschließt umzukehren. Diese Erinnerung scheint uns von größter Bedeutung zu sein. Das bedeutet für uns als Eltern, dass wir durch unsere Art mit Gott zu leben, unseren Kindern die Chance geben, sich im Erwachsenenalter an Gott zu erinnern. Der Abt vom Kloster Maria Laach hat mal bei einer Veranstaltung einen bemerkenswerten Satz gesagt, wonach er die Rolle seines Klosters darin sieht, die Besucher an Gott zu erinnern.
Wir wissen heute nicht, wie wichtig unseren erwachsenen Kindern die Gottesbeziehung sein wird, denn die Einflüsse der säkularen Welt sind inzwischen gewaltig. Vielleicht werden sie einmal andere Wege gehen, aber wenn sie sich „verlaufen“ und nicht mehr weiter wissen, dann haben sie die Chance sich an Gott zu erinnern und sich ihm neu zuzuwenden. Wenn das gelingt, dann werden sie sich daran erinnern, dass Gott die Kraft ist, die unseren Rücken stärkt und uns trägt, wenn es mal schwierig wird. So gelingt ihnen vielleicht als Erwachsene eigene, individuelle Beziehung zu Gott zu finden und ihr Leben mit Gott, in guten und in schlechten Zeiten, in Freude und im Leid, zu gestalten.
Autor: Bruno Kulinsky