Wenn man Menschen fragt, ob sie mit ihrem Leben zufrieden sind, dann ist die Antwort oft: Ich habe ein ordentliches Einkommen, ein Häuschen, gesunde Kinder - ich bin zufrieden. Oder: Mir fehlt dies und das, deswegen bin ich unglücklich. Letztlich sind das aber nur Ressourcen. Ein Mensch kann tief deprimiert sein, obwohl er über all das verfügt. Man muss die Frage nach gelingendem Leben also anders stellen. Ich meine, es kommt darauf an, wie jemand mit der Welt verbunden ist.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen das Gefühl haben, einer stummen, gleichgültigen Welt gegenüber zu stehen. Die Folge ist ein individuelles, ja sogar kollektives Burn-out. Menschen, die ein gelingendes Leben führen, haben eine lebendige Verbindung etwa zu anderen Menschen, zur Natur, zu ihrer Arbeit. Das Leben gelingt nicht allein, wenn wir reich an Ressourcen und Optionen sind, sondern wenn wir es lieben.
Herr Rosa spricht von einer „libidinösen Weltbeziehung“, in der es darum geht, von einer Sache oder einer Person bewegt oder berührt zu sein, von ihr angesprochen zu werden. Er nennt das eine Resonanzbeziehung - ganz wie in der Musik: Etwas schwingt und bringt dadurch etwas Anderes zum Schwingen. Aus seiner Sicht brauchen die Menschen nicht einzelne resonante Oasen, sondern einen resonanten Alltag. Solche Momente, in denen diese Resonanz erlebt werden kann, um sich lebendig zu fühlen kann die Musik sein, aber auch die Religion, Literatur, die Natur oder Politik.
Auf die Frage, inwieweit das Internet und die Digitalisierung vieler Arbeits- und Lebensbereiche gelingendes Leben verhindern, antwortete Herr Rosa, dass diese Resonanzerfahrungen, wie er sie meint, immer eine leibliche Dimension haben, aber sie können auch digital ausgelöst sein. Etwa wenn ein Bild, ein Text im Internet berührt und eine Gänsehaut auslöst. Er meint, dass Digitalisierung nicht grundsätzlich falsch und schlecht ist. Das Problem ist, dass die Menschen immer mehr medial und digital auf die Welt bezogen sind. Fast alles, was wir tun - arbeiten, spielen, kommunizieren, vielleicht sogar sexuelle Abenteuer suchen - läuft über den Bildschirm. Und die Interaktion mit der Welt geschieht über die immer gleiche Fingerbewegung am Smartphone. Da sieht Herr Rosa schon als eine Verkümmerung, weil es zunehmend nur noch diesen einen Kanal zur Welt gibt. Bildschirme sind dann so etwas wie Resonanzkiller. Wenn sie zwischen uns und die Welt treten, dann wird es schwer, leibliche Resonanzbeziehungen zu erfahren.
Bezogen auf die sozialen Medien wie Facebook oder Twitter Resonanz im Sinne von Feedback, indem andere Menschen Fotos oder Beiträge liken, teilen oder kommentieren, äußerte Herr Rosa, dass die sozialen Medien sehr schön die Sehnsucht der Menschen zeigen, resonant mit der Welt verbunden zu sein. Gerade deswegen sind sie so attraktiv, aber sie gaukeln echte Resonanz nur vor. Und die neuen Medien verstärken noch ein anderes Verhalten: Wir haben uns angewöhnt, die Welt nach immer interessanteren Optionen zu scannen. Dahinter steckt die Angst, irgendwo etwas zu verpassen. Dann kann ich aber nicht in eine Resonanzbeziehung treten. Die setzt nämlich voraus, dass man Aufmerksamkeit fokussiert und alles andere loslässt - nach dem Motto: Ich werde etwas verpassen, aber das ist mir die Sache wert.
Angefragt, ob dies ein Plädoyer für Entschleunigung und Muße sei, antwortete Herr Rosa, dass die Entschleunigung an sich ist keine Lösung ist. Denn Langsamkeit kann nicht zum Selbstzweck werden. Ein langsamer Notarzt, eine langsame Internetverbindung oder eine langsame Achterbahn wären kein Zugewinn an Lebensqualität. Wenn Menschen von Entschleunigung träumen, dann meinen sie letztlich, in eine andere Beziehung zu den Dingen zu treten, eine andere Art des In-die-Welt-gestellt-Seins. Als Gegenstück zur wachsenden Entfremdung sieht er daher die Resonanz. Muße kann helfen, in eine solche Resonanzbeziehung zu kommen. Wir leben in einem Zeitalter, das wirkliche Muße nicht mehr kennt. Sie stellt sich ein, wenn das Tagwerk vollbracht ist und alle legitimen Erwartungen an einen selbst und die man an die Welt hat, erfüllt sind. Aber die Menschen haben auch nach getaner Arbeit immer noch Tausend Dinge auf der To-Do-Liste stehen - und wenn es nur darum geht, etwas für die eigene Fitness zu tun oder eben noch etwas zu entschleunigen.
Zur Person Hartmut Rosa: Seit 2005 Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Universität Jena. Außerdem leitet er das Erfurter Max-Weber-Kolleg. Er ist vor allem bekannt für seine Studien zur Beschleunigung der Arbeits- und Lebenswelt. Zuletzt erschien sein Buch „Resonanz - Eine Soziologie der Weltbeziehung“.
Gefunden im Internet von Bruno Kulinsky
Auszüge aus einem durch ORF veröffentlichten Interview aus dem Jahr 2016