Jede Welt hat ihre eigene Sprache. Wer mitspielen will beim Fußball, in der Musik, in der Welt des Theaters, der Naturwissenschaft, der Wirtschaft, der Politik, der wird nicht daran vorbeikommen, sich Grundbegriffe der Verständigung in diesen Bereichen anzueignen. Das mag nervig sein, ist aber notwendig, sonst verliert man den Anschluss. Neulich kommentierte die Teilnehmerin ein Gruppengespräch in unseren Kreisen mit dem Zwischenruf: Das klingt aber echt „churchy“. Ja, es gibt einen unverkennbaren „Kirchensprech“, eigene Sprachspiele, wenn wir als Christen zusammenkommen, diskutieren, uns austauschen, Gottesdienst feiern. Und manchmal nervt diese Insidersprache. Ich karikiere: „Immer wieder neu werden wir ermutigt, uns gleichsam zu vernetzen und aus der Betroffenheit heraus achtsam miteinander umzugehen und die Menschen da abzuholen, wo sie stehen.“ So ähnlich klingt das dann – und wir wüssten mit verbundenen Augen, wo wir gerade sind, wenn wir „churchy“ sprechen hören.
Mittlerweile haben sich bei uns mindestens drei solcher Sprachspiele eingebürgert: Da ist die offizielle Liturgie mit ihrer Hochsprache, lange erprobt und gepflegt; aber sie setzt eine hohe Identifikation und gute Erfahrung mit dem Gottesdienst voraus, um verstanden zu werden. Viele derer, die nicht so hineingewachsen sind wie wir, verstehen das nicht mehr, und sie sagen es uns – die jungen Leute etwa: „Ihr müsstet ganz anders sprechen und neue Feierformen entwickeln, damit wir uns im Gottesdienst zuhause fühlen.“ Daneben pflegen wir bei unseren Zusammenkünften, aber auch in Predigt und Verkündigung den oben bereits erwähnten „Kirchensprech“. Ein Sprachspiel, das sich von anderen doch sehr unterscheidet und um Einfühlung und Wertschätzung bemüht ist. Niemand soll überrumpelt oder überfordert werden. Viele sollen Platz finden können mit ihrer Eigenart. „Abkanzeln“ wie früher geht gar nicht mehr.
Und dann gibt es die Sprache unseres kirchlichen Apparates. Da bedienen wir uns gern betriebswirtschaftlicher, soziologischer, organisationstheoretischer Fachwörter, die sich nahe legen, weil wir als große Institution ähnliche Herausforderungen zu bewältigen haben, wie andere gesellschaftliche Gruppen auch. In vielem sind wir ja durchaus mit ihnen vergleichbar. Da beraten dann kuriale und synodale Gremien über gut vorstrukturierte Konzepte, nehmen Interventionen und externe Beratung auf, um die final abgestimmten Skizzen zur Beschlussfassung vorzulegen, damit die gewünschten Projekte gelingen und nicht Makulatur werden.
Sprachen und Welten. Oft getrennt voneinander. Und wir bewegen uns darin und beherrschen die Sprachspiele notgedrungen. Wir wechseln intuitiv je nach Setting und Erfordernis. Im Grunde sind wir Weltmeister der Kommunikation und eignen uns neben unserer Muttersprache und der ein oder anderen Fremdsprache noch ganz viele andere Sprachkulturen an. Brücken zwischen diesen Kulturen sind eher selten. Es sei denn: Wir selbst bilden die Brücke.
Das „Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria“ wird am 8. Dezember gefeiert. Dieses Fest und die Weihnachtszeit bieten ein paar erstaunliche Sprachbrücken an. Am Hochfest wir Maria als die „immaculata conceptio“, die ohne Erblast Empfangene geehrt - wir könnten sagen, das fehlerfreie Konzept. Offenbar werden Konzepte empfangen und geboren, sie haben mehr mit Lebendigkeit als mit Technik, mehr mit Schenken als mit Konstruieren zu tun. Gott fand, es sei Zeit zu intervenieren, in die Geschichte seines Bundesvolkes einzugreifen, um es in der Spur zu halten und als Keimzelle einer großen, friedvollen Vereinigungsbewegung zwischen Menschen und Gott aufzustellen. Intervenieren ja – aber nie wieder werde er den Erdboden wegen des Menschen verfluchen, hatte sich Gott nach der großen Flut im Bund mit Noach geschworen; niemals wieder werde er alles Lebendige schlagen, um dem Bösen im Menschen und in der Welt entgegen zu treten (vgl. Gen 8, 21f.).
Gott achtet die Freiheit, die er uns gegeben hat. Wenn er also das Projekt „Erneuerung“ der Welt und der Menschheit angehen will, dann braucht es ein Konzept, das ganz und gar mit unserer Freiheit rechnet und auf sie baut. Gott will die Erneuerung von innen her und von Grund auf. Er will seinem Sohn als Bild des neuen Menschen den Weg zu uns bahnen. Wir sollen ihn als Bruder erkennen, als Mensch wie wir, der uns bewegt, uns seiner Botschaft und seinem Weg aus freien Stücken anzuschließen. „Matris in gremio“, im Schoß einer Mutter soll Jesus Mensch werden, der ganz Neue, der Gott-mit-uns, der rettende, liebende, befreiende Gott. Im „Gremium“ einer Frau, im Mutterschoß wird er als Mensch empfangen und ausgetragen – wie jede und jeder von uns.
Dazu also sind Gremien da, um dem Wachsen und Reifen des Neuen sicheren Raum zu geben, bis es geboren wird, frei gesetzt, um Gutes zu bewirken. Um seinen Plan zu verwirklichen braucht Gott die freie Zustimmung einer Frau, die Bereitschaft Mariens, die einfach „Ja“ sagt, auch wenn sie die Folgen nicht absehen kann. Ein „Ja“, das alle Vorbehalte, Belastungen und Einschränkungen hinten anstellt und den Sprung wagt … und ganz frei auf Gottes Werben antwortet. Würden wir das je schaffen, wir Bedenkenträger, die nach Sicherheiten fragen und vor Unkalkulierbarem eher zurückschrecken? „Immaculata conceptio“, unbefleckt Empfangene, das bedeutet: Gott hat Maria ganz am Anfang ihres Daseins, bei ihrer Empfängnis, eigens in die Hand genommen, wie er es als Schöpfer ganz am Anfang der Schöpfung tat.
Gott hat freigeräumt und weggenommen, was die Freiheit dieser Frau hätte einschränken und hindern können. Er hat ihr „im Voraus“ geschenkt, was Jesus uns allen durch sein Sterben und Auferstehen eröffnet hat: Ganz frei zu sein. Ein gelungenes Konzept ohne Macken, ohne Wenn und Aber. Und zur Nachahmung höchst willkommen. Weil so das große Spiel der Freiheit zum Guten, das Gott im Sinn hat, beginnen konnte – und nicht mehr aufhört, bis dieses gott-menschliche Projekt sein Ziel erreicht: Himmel und Erde verbünden sich und werden neu. Sprachen und Welten. Manchmal finden sich Brücken. Wenn es stimmt, was die kirchliche Gemeinschaft an Maria entdeckt hat, diesem makellosen Konzept und fruchtbaren Gremium, dann ist sie eine gute Anlaufstelle, wenn wir Brücken suchen und bauen wollen, über die Menschen zum Glauben finden.
(Aus Predigt von Bischof Dr. Georg Bätzing am Hochfest Mariä Empfängnis im Dez. 2019)